Mittelohr

Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung

Erkrankungen mit Entzündung kommen bei den Mittelohroperationen am häufigsten vor, vor allem die chronische Entzündung.
Es handelt sich um Veränderungen, die das Trommelfell (z. B. Loch im Trommelfell), aber auch die einzelnen Mittelohranteile oder den angrenzenden Knochen (z. B. Mastoid) betreffen können. Sie sind häufig bereits im Kindesalter entstanden. Auch akute Verletzungen können zu Entzündungen führen.

Eine chronische Mittelohrentzündung läuft oft nach folgendem Schema ab: nach Eiterungen in der Kindheit und Jugend tritt über viele Jahre ein trockenes, beschwerdefreies Intervall ein. Es kann dann ausschließlich eine Schwerhörigkeit bestehen, an die sich der Patient gewöhnt. Mancher empfindet dies sogar als Vorteil, weil man sich bei einseitiger Schwerhörigkeit auf das gut hörende Ohr legen kann und dann auch bei Umgebungslärm gut schläft.

Mit zunehmendem Alter oder bei Kontakt mit Wasser erhöht sich das Risiko, dass das oberfächlich trockene Ohr wieder anfängt Sekret abzusondern, d. h. dass es sich akut entzündet.

Die Alternative, ein Hörgerät zum Ausgleich der Schwerhörigkeit und zur Vermeidung einer Operation zu tragen, ist nicht zu empfehlen. Wenn der Gehörgang mit dem Ohrpassstück des Hörgerätes verschlossen ist, bildet sich im Gehörgang und Mittelohr ein für Bakterienwachstum ideales feucht-warmes Milieu. Das führt zur Verschlimmerung oder zu ständigem Aufflackern der Entzündung.

Ein weiteres Argument für eine Operation ist, dass das gut hörende, gesunde Ohr der gegenüberliegenden Seite von einem Unfall, einer akuten Mittelohrentzündung, einem Hörsturz oder anderen plötzlichen Ereignissen betroffen sein kann. Dadurch kommt es schlagartig zu einer für den Patienten sehr belastenden Situation: er hört auf beiden Ohren schlecht.

Daher geben wir den Rat, eine chronische Mittelohrentzündung operieren zu lassen, auch wenn sie für den Patienten problemfrei erscheint. Wenn das Ohr trocken ist und der Patient bis auf eine eventuelle Schwerhörigkeit keine Beschwerden empfindet, sind die Heilungschancen deutlich besser. Bakterielle Entzündungen können naturgemäß jede Heilung stören.

Abhängig von der Dauer und je nach Ausdehnung der Entzündung können verschiedene Grade der Zerstörung am Trommelfell und im Mittelohr eintreten. Bakteriell-eitrige Entzündungen können sogar das Innenohr dauerhaft schädigen.

Auch die Lebensqualität des Patienten kann zunehmend eingeschränkt sein:

  • die Schwerhörigkeit wird stärker
  • es entstehen hygienische Probleme durch zeitweise übel riechende Absonderung
  • es darf kein Wasser z. B. beim Duschen oder Baden in das Ohr eindringen.

Behandlung vor einer Operation

Bei einem nur kleinen Loch im Trommelfell sollte versucht werden, durch bestimmte Maßnahmen eine spontane Heilung zu erreichen, z. B. Anfrischen und Abdecken der Perforation mit einem „Pflaster“ (Schienung durch Papierchen oder Silikonfolie).

Ein feuchtes Ohr kann evtl. durch entsprechende lokale Medikamentenbehandlung trocken werden. Dazu gehört auch, dass ein Abstrich zur Bestimmung der Bakterienart abgenommen und die Medikamentenempfindlichkeit (Resistogramm) bestimmt wird. Bei bestimmten Keimen wird dann nach der Operation über wenige Tage zur Unterstützung der Heilung das passende Antibiotikum gegeben. Eine allgemeine Antibiotikumgabe (Tabletten oder Infusion) vor der Operation bringt nach unseren Erfahrungen selten den Erfolg eines dauerhaft trockenen Ohres.

Info: Entzündliche Erkrankungen des Mittelohres

  • Akute Trommelfellperforation
  • Chronische Trommelfellperforation
  • Mittelohrcholesteatom

Ziel der Operation

Grundsätzlich hat die Operation das Ziel, ein trockenes, abgeschlossenes und/oder für den Patienten gefahrloses Ohr zu erreichen. Die statistische Auswertung der Ergebnisse von vielen tausend Ohroperationen zeigt, dass wir dieses Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 95 % erreichen.

Nach Möglichkeit wird auch eine Hörverbesserung angestrebt. Da der Grad der Zerstörung durch die Entzündung auch im Bereich der Gehörknöchelchenkette zunehmen kann, bestehen die besten Erfolgsaussichten auch hinsichtlich des Gehörs, wenn das Ohr möglichst früh operiert wird.

Das eigentliche Ausmaß der Zerstörung im Mittelohr kann jedoch erst während der Operation erkannt werden. Abhängig vom Grad der Zerstörung sind die Möglichkeiten des Wiederaufbaus der Schallleitungskette und damit auch der Grad der Hörverbesserung.

Eine äußerst wichtige Rolle für eine dauerhafte Hörverbesserung spielt dabei ein über den Nasenrachenraum gut belüftetes Mittelohr. Falls die Eustachische Röhre, welche der Verbindungskanal zwischen Rachen und Mittelohr ist, narbig eingeengt ist, verhindert dies den einwandfreien Druckausgleich beim Schlucken. In einem gewissen Prozentsatz sind wir in der Lage, durch eine Ballondilatation der Tube (Tuboplastie) eine Besserung der Mittelohrbelüftung zu erreichen (siehe dazu „Leistungsangebot“ auf unseres Homepage).

Häufig ist bei einer durch jahrelange Entzündung vernarbten Mittelohrschleimhaut zusätzlich der gesunde Gasaustausch gestört. Das Gleichgewicht zwischen Aufnahme und Abgabe von Gasen, die sich in der Luft des Mittelohres und im Gewebe befinden, ist zugunsten der Aufnahme verschoben. So entsteht durch die vernarbte Schleimhaut ein Unterdruck im Mittelohr mit Einziehung des Trommelfells und damit einer mangelhaften Schwingungsfähigkeit, selbst wenn dieses intakt ist. In diesen Fällen kann auch das natürliche, regelmäßige Schlucken mit Druckausgleich über die Eustachische Röhre (Ohrtrompete) keine Besserung bringen.

Es ist verständlich, dass daher nicht eindeutig vorhergesagt werden kann, ob das Mittelohr nach der Operation einwandfrei und dauerhaft belüftet sein wird; eine Prognose bezüglich der Hörverbesserung ist damit nicht möglich.

Im Übrigen gilt wie bei allen Ohroperationen: die noch bestehende Innenohrleistung gibt die Grenze der erreichbaren Hörverbesserung vor.

Die Operation einer chronischen Mittelohrentzündung wird als Tympanoplastik bezeichnet. Als dieser Begriff Anfang der 1950-Jahre in Deutschland „geboren“ wurde (Siegen), war er ursprünglich der Begriff für Ohroperationen unter dem damals neuen Stereo-Mikroskop, was erstmals „plastisches“ Sehen ermöglichte.

Info

  • Der Begriff „Tympanoplastik“ bezeichnet die Rekonstruktion von Trommelfell und Mittelohr.

„Tympanon“ ist die Bezeichnung für den Mittelohrraum mit Trommelfell und Gehörknöchelchenkette. Der Begriff „Plastik“ bedeutet nicht, dass mit Kunststoff oder Plastik gearbeitet wird. Unter „Plastischer Chirurgie“ versteht man heute vielmehr alle Operationstechniken, bei denen eine Rekonstruktion (Wiederherstellung/ Wiederaufbau) durchgeführt wird.

Bei welchen Patienten die Lokalanästhesie bzw. der endaurale Zugang gewählt wird, wird im Einzelfall vor der Operation entschieden und mit Ihnen besprochen. Die Wahl des Hautschnittes hat nichts mit der Schwere der Operation zu tun, sondern mit der Möglichkeit, wie der Operateur den Krankheitsprozess am besten erreichen und beseitigen kann und womit eine möglichst hohe Chance zur Heilung verbunden ist.

Akute Perforation des Trommelfells

Ein akutes Loch im Trommelfell entsteht in aller Regel durch äußeren Einfluss (Trauma), z. B. durch einen Schlag, beim Sport (z. B. Ball, Tauchen) oder auch durch Reinigungsversuche (Wattestäbchen). Spontan auftretende Perforationen im Rahmen von akuten Mittelohrentzündungen heilen nach Abklingen der Entzündung normalerweise von selbst.

Die Chance, dass ein perforiertes Trommelfell nach einem solchen äußeren Ereignis von selbst heilt, ist groß, vor allem, wenn das Trommelfell nicht durch frühere häufige Entzündungen vorgeschädigt ist. Bei umgeklappter Haut am Rand des Loches oder bei zu großer Perforation ist die Spontanheilung nicht möglich. Um Komplikationen zu vermeiden, ist die Kontrolle durch einen Spezialisten dringend zu empfehlen.

Operation: Myringoplastik (Trommelfellverschluss)

Ein operativer Verschluss ist endaural, ambulant und in Lokalanästhesie möglich mit der sehr hohen Erfolgschance von 98 bis 99 %.

Hierbei handelt es sich um einen Eingriff allein am Trommelfell, manchmal sogar ohne das Mittelohr zu eröffnen. Die Ränder der Perforation werden angefrischt. Der frische Wundrand fördert die Heilung. Durch eine exakte Abdeckung des Loches z. B. durch Silikonfolie (Schienung) kann das Trommelfell an der Unterseite diese aufgelegten „Pflasters“ zuwachsen. Ist das Trommelfell durch Vorschädigungen pergamentartig verändert, das Loch zu groß oder Haut im Randbereich der Perforation nach innen umgeklappt, ist eine Ein- bzw. Unterlagerung mit Bindegewebe o.ä. aus dem Hautschnitt sinnvoll.

Chronische Trommelfell­perforation

Mittelohr, Chronische Trommelfellperforation, Trommelfell, Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung, Dr. med. Schimanski

Normales Trommelfell (Bild links), Trommelfellperforation, trocken (Bild mitte), Große Perforation mit Schleimhautentzündung und fehlendem Amboss (Bild rechts)

Ein dauerhaftes Loch im Trommelfell kann zu jeder Zeit eine sekretabsondernde Entzündung entwickeln: daher die Bezeichnung „Chronische Mittelohrentzündung“, auch wenn das Ohr über einen längeren Zeitraum nicht entzündet und trocken ist.

Operation: Tympanoplastik

Die Art der Betäubung, wo der Hautschnitt angelegt wird und ob ambulant oder stationär operiert wird, hängt vom Befund ab.

Nach dem Hautschnitt werden die oft vernarbten Ränder der Perforation angefrischt, das Mittelohr in seiner Gesamtheit kontrolliert und überprüft, ob die Gehörknöchelchenkette intakt und beweglich ist. In manchen Fällen ist zur besseren Übersicht eine Erweiterung des Gehörgangs durch z. B. Wegnahme des Knochens rundherum oder durch Ausdünnen einer narbig verdickten Gehörgangshaut notwendig.

Mittelohr, Gewebepresse n. Schimanski, Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung, Dr. med. Schimanski

Gewebepresse n. Schimanski

Zum Verschluss der Trommelfell- Perforation wird in der Regel ein Stück Faserbindegewebe, meist Muskelhaut (Fascie) oder Knorpelhaut (Perichondrium) verwendet. Dieses Gewebe wird aus dem Bereich des Hautschnittes entnommen. Nach Pressen mit Hilfe einer speziellen Gewebepresse wird es wie ein Flicken unterfüttert. Darüber kann dann die Haut des Resttrommelfells wachsen. Mit spezieller Technik kann es auf der Unterseite oder im Randbereich des Resttrommelfells fixiert werden, damit es sich nicht durch Unterdruck während des Einwachsens ablöst.

Mittelohr, Knorpelpinzette n. Schimanski, Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung, Dr. med. Schimanski

Knorpelpinzette n. Schimanski

Wenn eine Belüftungsstörung des Mittelohrs vorliegt, kann es sein, dass das Trommelfell permanent i n Richtung Mittelohr gezogen wird (Adhäsivprozess) (siehe auch „Gasaustausch“. In solchen Fällen stellt die Unterfütterung mit Knorpel eine sinnvolle Alternative dar, weil der Knorpel ein Material ist, welches dem Unterdruck mehr Widerstand leistet als das oben erwähnte Bindegewebe. Er wird aus dem normalerweise etwa 0,7 - 1 mm dicken Knorpel der Ohrmuschel entnommen und mit Hilfe einer speziellen Knorpelpinzette auf 0,2 - 0,5 mm dünn geschnitten. Dadurch soll im Vergleich zu einer dickeren Knorpelscheibe eine bessere Schwingungsübertragung - und somit ein besseres Hörergebnis - erreicht werden. Außerdem wird das durch Entzündungen häufig ohnehin geringe Volumen des Mittelohres durch eine dünnere Knorpelunterlagerung weniger stark eingeengt.

Die Entnahmestelle ist später in der Regel nicht mehr zu erkennen. Das jetzt im Vergleich zu einem mit Fascie unterfütterte, relativ dicke Trommelfell erweist sich dabei oft als erstaunlich gut in der Schallübertragung, immer vorausgesetzt, dass die Belüftung dahinter keinen Unterdruck entstehen lässt und eine freie Schwingung gewährleistet ist.

Findet sich bei der Kontrolle des Mittelohres eine anatomisch und funktionell intakte Gehörknöchelchenkette, sind die Aussichten für eine Hörverbesserung besonders günstig. Ist die Kette zerstört, gibt es verschiedene Möglichkeiten des Wiederaufbaus. Seit Ende der 1990er Jahre hat sich der Einsatz von filigranen, in der Länge variablen Titanimplantaten für den Knöchelchenersatz als überaus verträgliches Material bewährt. Eine Abdeckung der „Prothese“ mit dünner Knorpelscheibe ist unerlässlich (siehe Abbildung unten), um ein Durchwandern des Trommelfells zu verhindern (Protrusion).

Mittelohr, Mittelohr mit Titanimplantat für den Gehörknöchelchenersatz, Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung, Dr. med. Schimanski

Mittelohr mit Titanimplantat für den Gehörknöchelchenersatz (mit Knorpelabdeckung)

Leider lässt sich das nicht immer vermeiden, vor allem wenn sich nach der Operation schwerwiegende Belüftungsstörungen mit daraus resultierendem Unterdruck des Mittelohres herausstellen.

Mittelohr, Längenvariable Totalprothese und Partialprothese, Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung, Dr. med. Schimanski

Längenvariable Totalprothese (links), Partialprothese (rechts)

Ist die Gehörknöchelchenkette unterbrochen (meist zwischen Amboss und Steigbügel) kann auch der eigene Amboss auf den Steigbügel neu aufgesetzt werden (Interposition). Er kann immer dann wiederverwendet werden, wenn er keine entzündlichen Veränderungen aufweist. Durch diese Technik können ebenfalls sehr gute Hörergebnisse erreicht werden.

Nach der Unterfütterung und Einsetzen des Implantates werden Trommelfell und Gehörgangshaut wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückgelegt. Dünne Silikonfolienstreifen (0,12 mm dünn) werden auf die Wundflächen gelegt. Sie gewährleisten eine glatte Wundheilung der Oberfläche und erleichtern die spätere Entfernung der Tamponade (Gelatineschwämmchen) nach etwa 3 Wochen.

Mittelohr­cholesteatom

(„Perlgeschwulst“/Knocheneiterung)

Eine besondere Form der chronischen Mittelohrentzündung ist das Cholesteatom, eine spezielle Art von Geschwulst. Hierbei wächst normale oberflächliche Haut vom Trommelfell aus in die lufthaltigen Räume des Mittelohres oder in das Mastoid (Hinterohrraum). Dort kann sich diese Haut ungehemmt und unkontrolliert ausdehnen. Der umgebene Knochen wird abgebaut, und Bakterien können sich in den Hautschuppen im Inneren des Hautsackes (Geschwulst) unter idealen, warmen und feuchten Verhältnissen vermehren. Durch diese unheilvolle Kombination entstehen Komplikationen wie u.a. Entzündungen der Hirnhaut (Meningitis) oder wichtiger Blutgefäße.

Info

  • Ein Cholesteatom ist eine Erkrankung im Bereich des Ohres.
  • Normale Haut der Körperoberfläche wächst in die Tiefe des Mittelohres hinter das Trommelfell.
  • Der umliegende Knochen wird durch das Wachstum der Haut und durch die ständig entstehenden Hautschuppen zerstört.
  • Der Abbau des Schädelknochens kann lebensbedrohliche Komplikationen hervorrufen.
Mittelohr, Cholesteatom, epitympanal, Polyp, Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung, Dr. med. Schimanski

Cholesteatom, epitympanal, Polyp

Das Cholesteatom ist so trotz aller medizinischen Fortschritte eine potenziell lebensgefährliche Erkrankung. Das hat vor der Ära der Mittelohrchirurgie und der Antibiotikumtherapie (vor dem 2. Weltkrieg) dazu geführt, dass eine solche Erkrankung damals die häufigste Todesursache war. Wegen der schleichenden Ausdehnung (häufig über Jahrzehnte) bemerkt der Patient diese bedrohliche Entwicklung nicht, zumal wenige Warnsignale vorhanden sind: es treten nur selten Schmerzen oder eitrige Absonderungen auf. Oft ist nicht einmal Schwerhörigkeit vorhanden, und nur manchmal ist das Trommelfell sichtbar perforiert. Röntgenaufnahmen, CT und MRT können keine ausreichende Sicherheit für die genaue Ausdehnung des Cholesteatoms geben. Sie können lediglich eine zusätzliche Hilfe für die Operationsentscheidung und das Vorgehen bei der Operation sein.

Die Operationsdauer kann nicht vorhergesagt werden, da die Ausdehnung der Entzündung erst bei der Operation endgültig festgestellt wird.

Operation: Tympanoplastik mit Cholesteatomentfernung

Prinzipiell wird dasselbe Vorgehen wie bei der Tympanoplastik gewählt. Die Entfernung der Cholesteatomhaut und der Hautschuppen steht im Vordergrund. Es kann dabei je nach Ausdehnung vorkommen, dass die intakte Gehörknöchelchenkette auseinandergenommen werden muss.

Ist der Gesichtsnerv vom Cholesteatom betroffen und wurde er freigelegt, was sich meist erst während der Operation herausstellt, kann es trotz aller Erfahrung und Sorgfalt zur vorübergehenden (aber nur sehr selten dauerhaften) Lähmung kommen.

Dasselbe gilt auch für das Gleichgewichtsorgan, welches normalerweise durch Knochen (Felsenbein) geschützt ist. Hat das Cholesteatom den Knochen zerstört, kann für einige Zeit nach der Operation ein vorübergehender, mitunter erheblicher Drehschwindel, selten ein Dauerschwindel auftreten.

Bei uns wird die hintere Gehörgangswand häufig erhalten, sodass nach der Operation ein normaler Gehörgang bestehen bleibt. Wenn jedoch der Entzündungsprozess sehr weit ausgedehnt ist, ist die teilweise oder vollständige Wegnahme der hinteren Gehörgangswand nicht zu vermeiden: es entsteht eine so genannte „Radikalhöhle“.

Vom Gehörgang aus besteht dabei ein offener Zugang zum Mastoid (Hinterohrraum/Warzenfortsatz) (siehe „Nach der Entlassung“ im Artikel: „Was muss beachtet werden, wenn der Arzt zu einer Ohroperation rät?“).

Meist versuchen wir, annähernd normale Gehörgangsverhältnisse durch Wiederaufbau (Rekonstruktion) der Gehörgangswand wiederherzustellen. Das Material hierfür (körpereigener Knochen oder Knorpel) wird aus der Umgebung des Operationsgebietes entnommen.

Seit 2012 steht uns auch ein bioaktives Glasgranulat (BonAlive®) zum Auffüllen der entstandenen Höhle zur Verfügung (siehe „Obliteration Mastoidhöhle“ im Artikel: „Erkrankungen des Mastoids und ihre operative Behandlung“). Wir konnten nach mehr als 130 Fällen (Stand Anfang 2015) nachweisen, dass diese Technik das Risiko eines erneuten Cholesteatoms im Mastoid deutlich verringert.

Allgemein gilt besonders für diese Operation der Grundsatz: ein trockenes, abgeschlossenes und vor allem gefahrloses Ohr ist das Hauptziel. Auch wenn wir uns normalerweise bemühen, gleich im ersten Eingriff eine Hörverbesserung zu erreichen (z. B. durch Einsatz einer Titanprothese, siehe „Tympanoplastik“), so steht dieses Ziel nicht im Vordergrund.

Wenn in einigen Fällen eine Radikalhöhle notwendigerweise gebildet werden muss, sollte sie zukünftig regelmäßig gepflegt werden, auch wenn sie trocken ist. Dazu wird monatlich 1 bis 2 Mal die Höhle mit körperwarmen(!) Ohrentropfen, die von uns rezeptiert werden, gefüllt („Ohrbad“). Tritt dabei Schwindel auf, sind die Ohrentropfen zu kalt! Lassen Sie die Tropfen etwa 10 – 15 Minuten einwirken und dann auf einen Wattebausch, Papiertaschentuch oder ähnliches herauslaufen. Es ist wichtig, dass bei Wasserkontakt, z. B. beim Schwimmen, eine fetthaltige Watte in den Gehörgangs-Eingang gelegt wird.

Hinweis

  • Eine Ohr-Radikalhöhle bedarf regelmäßiger Pflege.
  • Das „Ohrbad“ ist eine nützliche Hilfe zur Hautpflege.
  • HNO-ärztliche Kontrollen sind in mindestens 6- bis 12-monatigen Abständen notwendig.
  • Eindringen von Wasser muss vermieden werden.

Second Look-Operation (Zweiter Eingriff)

Bei sehr ausgedehntem Cholesteatom (s.o.) empfehlen wir, etwa ein Jahr nach der Erstoperation eine zweite Operation, bei der das Mittelohr und/oder das Mastoid noch einmal operativ geöffnet wird. Dafür ist oft nur ein kurzer stationärer oder sogar ambulanter Aufenthalt notwendig.

Bei diesem Eingriff wird festgestellt, ob der Entzündungsprozess vollständig entfernt ist, besonders hinter einer evtl. rekonstruierten Gehörgangswand. Es ist niemals mit Sicherheit auszuschließen, dass nicht mikroskopisch kleine Cholesteatomanteile (Hautschuppen) nicht hinter dem verheilten Trommelfell und evtl. rekonstruierten Gehörgang verblieben sind.

Auch wenn in unserer statistischen Auswertung bei allen bisher operierten Patienten nur in weniger als 3-5 % ein erneutes oder im Ohr zurückgebliebenes Cholesteatom festgestellt wurde, sollten Sie unserem Rat zum Zweiteingriff und zu den regelmäßigen Praxiskontrollen unbedingt folgen. Die Gefahr, die von einem Cholesteatom ausgeht, ist einfach zu groß. (siehe „Nach der Entlassung“ im Artikel: „Was muss beachtet werden, wenn der Arzt zu einer Ohroperation rät?“).

Dies gilt insbesondere für Kinder bis zum Abschluss des Wachstums. Cholesteatome sind bei Kindern besonders aktiv im Abbau des noch weichen Knochens. Außerdem können sich mit jedem Wachstumsschub des Schädels die Größenverhältnisse im Ohr verändern. So kann sich ein anfänglich gut eingeheilter Wiederaufbau z. B. der Gehörgangswand so nachteilig verändern, dass auch einige Jahre nach der ersten Operation noch ein Second Look notwendig wird.

Beim Second Look kann gleichzeitig die Schallleitungskette kontrolliert werden und ggf. eine Korrektur mit dem Versuch einer Hörverbesserung bei entzündungsfreien Mittelohrverhältnissen erfolgen. In diesen speziellen Fällen wird der Operateur direkt nach der Erstoperation mit Ihnen darüber sprechen und bei späteren Kontrollen in der Praxis den Termin dazu vereinbaren.

Außerdem kann bei einem nicht optimal verheilten Gehörgangswiederaufbau eine Korrektur erfolgen. Wenn nicht schon bei der Voroperation durch uns das Mastoid mit z.B. Glasgranulat aufgefüllt wurde, kann dies jetzt unter reizloseren Verhältnissen erfolgen.

Prognose des Ergebnisses

Die folgende Aufteilung gibt einen Anhaltspunkt für die Erfolgschancen, die aufgrund der Untersuchung und des zu erwartenden Operationsbefundes bestehen.

  • Die Operation erfolgt ausschließlich zur Hörverbesserung, wobei die graduellen Möglichkeiten vorher nicht sicher angegeben werden können.
  • Die Operation erfolgt mit dem Ziel, ein abgeschlossenes, evtl. auch trockenes Mittelohr zu erreichen, wobei gleichzeitig gute Chancen zur Hörverbesserung bestehen.
  • Die Operation erfolgt in erster Linie, ein trockenes, abgeschlossenes und / oder gefahrloses Mittelohr zu erreichen. Gleichzeitig besteht eine begrenzte Möglichkeit, dass sich das Gehör bessert.
  • Die Operation hat nur das Ziel, ein abgeschlossenes, evtl. auch trockenes und gefahrloses Mittelohr zu erreichen.
  • Es ist nur ein Ohr erkrankt, das andere ist normal. Hierbei liegt das Hauptziel der Operation darin, ein abgeschlossenes, trockenes (evtl. auch gefahrloses) Mittelohr zu erreichen. Die mögliche Hörverbesserung wird hier nicht so entscheidend empfunden, da das andere Ohr deutlich besser hört.
  • Die Operation ist aus vitaler Indikation notwendig, das heißt: Es besteht akute Komplikationsgefahr durch den Entzündungsprozess. Das alleinige Ziel kann nur die möglichst rasche Ausschaltung des Gefahrenherdes sein.
  • Eventuell ist eine weitere Operation („Second Look“) notwendig. Es wurde zur Vermeidung einer Radikalhöhle die hintere Gehörgangswand erhalten bzw. rekonstruiert. Aus Sicherheitsgründen ist hierbei nach einem Jahr eine nochmalige Operation notwendig („Second Look“). Dabei kann evtl. auch eine Hörverbesserung versucht werden.
  • Zusätzlich zu den chronischen Entzündungsveränderungen im Mittelohr besteht eine Fixierung im Bereich der Gehörknöchelchenkette (Paukensklerose, Otosklerose), so dass zwei Operationen notwendig sind. Bei der ersten Operation ist das Ziel ein abgeschlossenes, entzündungsfreies Mittelohr. Bei dem Zweiteingriff wird eine Hörverbesserung angestrebt.

Häufig kann die endgültige Beurteilung erst bei der Operation erfolgen. Wir empfehlen daher, diese Broschüre ins Krankenhaus mitzubringen, damit nach der Operation bei den Visiten die Möglichkeiten – je nach Operationsbefund – bestätigt oder ergänzt werden können.

Autor und Arzt, Dr. med. G. Schimanski, Mittelohrchirurgie, Lünen-Brambauer

Dr. med. G. Schimanski

Autor

Dr. med. G. Schimanski wurde 1946 in Hameln a. d. Weser geboren und ist nach dem Studium der Human- und Zahnmedizin in Münster und der Assistentenzeit in Dortmund seit 1978 Facharzt für HNOHeilkunde. Nach 5-jähriger Oberarzttätigkeit und Spezialausbildung in der Mittelohrchirurgie im Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen gründete er 1983 eine HNO-Praxis in Lünen- Brambauer. Gleichzeitig begann die operative Tätigkeit als HNO-Belegarzt im Krankenhaus Lünen-Brambauer (heute: Klinikum Westfalen, Klinik am Park) und der Aufbau des Zentrums für Mittelohrchirurgie. Bis heute wurden weit über 13.000 Ohr-Operationen durchgeführt. 2005 wurde Dr. Schimanski der „Hofmann- und Heermann-Preis“ durch die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, verliehen. Er hat eine Vielzahl von Fachpublikationen veröffentlicht.

Arzt, Dr. med. Esther Schimanski, Praxis HNO Lünen, mittelohr

Dr. med. Esther Schimanski

Leiterin der Mittelohrchirurgie

Dr. med. Esther Schimanski wurde 1974 in Münster/Westf. geboren. Sie studierte Humanmedizin in Greifswald und Kiel. Auslandssemester wurden in Knysna (Südafrika), in Malta und in Townsville (Australien) absolviert. Die Assistentenzeit erfolgte im Prosper Hospital Recklinghausen, in der HNO-Praxis Lünen- Brambauer (Zentrum für Mittelohrchirurgie) und im Städtischen Klinikum Solingen. Seit 2007 ist Frau Dr. Schimanski als Partnerin in der HNO-Gemeinschaftspraxis Lünen-Brambauer (Medizinisches Zentrum Klinikum Westfalen) mit Schwerpunkt in der Mittelohrchirurgie und seit 2014 als Leiterin auf diesem Spezialgebiet tätig.