Das Mastoid (Warzenfortsatz/Hinterohrraum) liegt hinter der Gehörgangswand. Es steht mit dem Mittelohr über einen engen Gang in Verbindung. Bei normalem Schädelwachstum im Kindesalter ist dieser Raum wie eine Bienenwabe oder wie ein Schwamm - mehr oder weniger stark ausgeprägt - mit luftgefüllten Hohlräumen durchsetzt (Pneumatisation). Sie sollen wie ein Ausgleichsluftraum für die Belüftung des Mittelohres funktionieren. Wird diese Entwicklung durch häufige und vor allem länger anhaltende Mittelohrentzündungen gestört, entwickelt sich ein eher kompakter Knochen (Pneumatisationshemmung).
Spezielle Röntgenaufnahmen zeigen dem Arzt den Pneumatisationsgrad und geben damit zunächst nur einen Hinweis darauf, ob in der Kindheit häufige Entzündungen abgelaufen sind. Lufthaltige Hohlräume sind dabei schwarz dargestellt, Knochen ist hell/weiß. Dem Operateur hilft die Röntgendiagnostik auch in der Planung der Operationstechnik, d. h. ob z. B. bei der Tympanoplastik die hintere Gehörgangswand ohne Bedenken erweitert werden kann, ohne dass er wie bei ausgedehnter Lufthaltigkeit (Pneumatisation) des Mastoids eine große Höhle vorfindet. Dann wäre die Rekonstruktion aufwendiger, und es wird für den Wiederaufbau mehr Material benötigt (siehe „Operation: Tympanoplastik mit Cholesteatomentfernung“ im Artikel: „Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung“).
Die akute Entzündung des Mastoids tritt vor allem bei Kindern auf. Bakterien haben sich im Rahmen einer vorangegangenen, eitrigen Mittelohrentzündung im Mastoid festgesetzt. Die Schleimhaut reagiert darauf mit einer Entzündung, die dann den noch weichen kindlichen Knochen durchsetzen kann. Unklares Fieber mit zeitweisen Ohrenschmerzen nach einer bereits abgeklungenen akuten Mittelohrentzündung ist oft ein Hinweis für diese Erkrankung. Trotz antibiotischer Behandlung droht ein Durchbruch der eitrigen Entzündung in Richtung Hirnhaut und der übrigen Nachbarschaft des Mittelohres: Labyrinth, Gesichtsnerv, Blutgefäße.
So ist es verständlich, dass in der Zeit, als die Mikrochirurgie noch nicht entwickelt war und der Schädelknochen nur grob gemeißelt werden konnte, das Ziel nur darin bestand, die meist sehr jungen Patienten vor dem sicheren Tod zu retten. War die Operation erfolgreich, blieben oft tiefe Dellen hinter der Ohrmuschel zurück (siehe „Gehörgangs-Eingangsstenose“ im Artikel: „Erkrankungen des Ohres und ihre Operationen“), verbunden mit einer z.T. erheblichen Schwerhörigkeit, da der Amboss manchmal ungewollt oder unbemerkt entfernt worden ist.
Solche dramatischen Krankheitsverläufe sind heute extrem selten geworden, weil die flächendeckende ärztliche Versorgung, die Diagnostik (Mikroskopie, Röntgen) und Therapie (evtl. Nasenspray, Antibiotikum bei eitriger Mittelohrentzündung, rechtzeitig Adenotomie, Einsetzen eines Paukenröhrchens) erheblich verbessert worden sind.
Trotzdem haben wir in unserer Praxis hin und wieder solche potenziell lebensbedrohlichen Erkrankungen gesehen. Dabei ist die bakterielle Hirnhautentzündung (Meningitis) die häufigste Komplikation. Sie führt meist zur vollständigen Taubheit, die auch durch eine sofortige Operation nicht mehr behoben werden kann.
Die Schleimhauteiterung kann auch hinter der Ohrmuschel durch den Schädelknochen nach außen durchbrechen; dann steht die Ohrmuschel durch die entstandene rötliche Schwellung ab.
Die Operation in ITN ist umgehend stationär, meist unter gleichzeitiger Gabe eines Antibiotikums notwendig. Der retro-Hautschnitt ist der günstigste, weil direkte Weg, um das Mastoid zu eröffnen.
Das Mastoid hinter der Ohrmuschel wird geöffnet und der eitrige Schleim aus dem Mastoid und aus dem Verbindungsgang zum Mittelohr abgesaugt sowie entzündlich veränderte Schleimhaut und Knochenanteile entfernt. Dadurch wird der wichtige Belüftungsweg zum Mittelohr wiederhergestellt. Der in diesem Bereich liegende Amboss kann bei dem heutigen Stand der Mittelohrchirurgie im Gegensatz zu den früher durchgeführten Meißelungen geschont werden.
In der Regel wird der Gehörgang nicht austamponiert. Falls notwendig wird ein Paukenröhrchen zur Belüftung des Mittelohres in das Trommelfell eingelegt. Um nachlaufendes Sekret und Wundflüssigkeit aus dem Mastoid in den ersten Tagen nach der Operation absaugen zu können, wird häufig ein dünner Drainageschlauch durch den Hautschnitt bis in die Tiefe des Mastoids eingelegt. So können auch Medikamente und Spülflüssigkeit in das abheilende Mastoid eingebracht werden. Diese Behandlung ist schmerzfrei, ebenso wie die Entfernung des Drainageschlauches und der Hautfäden nach etwa 1 Woche.
Bei der chronischen Mastoiditis ist die Schleimhaut durch häufige Entzündungen stark verändert. Dafür gibt es zwei Entstehungsmechanismen. Eine Möglichkeit ist, dass über Jahre hinweg eine Belüftungsstörung des Mastoids durch Verlegung des Verbindungsweges zwischen Mittelohr und Mastoid besteht. Schwellungen, teilweise polypenartige oder sulzige Veränderungen der Schleimhaut sind die Folge, und es kommt zu einer zähen Schleimansammlung im Mittelohr (Mucotympanon „glue type“), welche selbst durch ein Paukenröhrchen nicht zu beheben ist. Es entsteht eine Schallleitungsschwerhörigkeit; Schmerzen sind nicht vorhanden und akute Entzündungsschübe treten selten auf.
Ein weiterer möglicher Entstehungsmechanismus: aufgrund der fehlenden Belüftung bildet sich wässrig-flüssiger oder auch eitriger Schleim. Aus diesem entwickelt sich über Jahre im Mastoid eine feste, gallertartige Masse, die das Mastoid bis in die letzten Hohlräume ausfüllen kann. Dieser Prozess ist vergleichbar mit dem Eindicken von Honig, der anfangs wasserdünn und mit der Zeit durch Auskristallisieren fest wird.
Es entwickelt sich ein zunehmender Entzündungsreiz für die Mittelohrschleimhaut, die dann mit Bildung von zähem Schleim reagiert, der über die Eustachische Röhre nicht zum Nasenrachenraum abtransportiert werden kann. Zeitweise treten unvermittelt akute, schwer zu behandelnde Mittelohrentzündungen auf.
Die Röntgenaufnahme zeigt meist ein kompaktes Mastoid, evtl. vorhandene Hohlräume sind „grau“ verschattet.
Die Operation erfolgt in der Regel stationär in ITN. Sie wird in derselben Art wie bei der akuten Mastoiditis durchgeführt (siehe „Chronische Mastoiditis“). Die Eröffnung des Mastoids ermöglicht die Darstellung aller Hohlräume des Warzenfortsatzes bis in den letzten Winkel und vor allem die sorgfältige Entfernung aller Entzündungsprodukte (z. B. Narbengewebe, verfestigter Schleim usw.) sowie die Wiederherstellung und Erweiterung des Belüftungsweges zum Mittelohr. Dabei kann es in manchen Fällen erforderlich sein, Teile der Gehörknöchelchenkette zu entfernen (z. B. Amboss und Hammerkopf). Dadurch wird der Belüftungsweg in Richtung Eustachischer Röhre hin freigemacht. Schleim im Mittelohr wird ebenfalls entfernt.
Eine Prognose über eine dauerhafte Heilung, vor allem eine Hörverbesserung ist schwierig, da die über Jahre entstandene Schädigung der Schleimhäute nicht eingeschätzt werden kann (siehe Artikel: „Erkrankungen des Mittelohres mit Entzündung“).
Eine Ohrradikalhöhle kann durch Narbenbildung im Eingangsbereich oder durch Knochenneubildung (vor allem nach Operationen im Kindesalter) im Laufe von Monaten oder auch nach Jahren unübersichtlich werden. Dadurch ist es für den HNO-Arzt oft unmöglich, vom Eingang des Gehörgangs aus alle Winkel dieser Höhle für die Säuberung zu überblicken und angesammelten Hautschuppen und Ohrenschmalz selbst mit Hilfe einer 30°Winkeloptik zu entfernen.
Unübersichtliche Ohr-Radikalhöhle
Manchmal ist auch die Nichtbeachtung einiger Grundsätze bei der Anlage einer Radikalhöhle im Rahmen einer Cholesteatomoperation (siehe „Operation: Tympanoplastik mit Cholesteatomentfernung“ im Artikel: „Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung“) durch den Operateur Ursache für diesen Befund.
Das Ergebnis sind immer wiederkehrende Entzündungen in der Mastoidhöhle, z. T. verbunden mit übel riechenden Absonderungen und Termine beim HNO-Arzt in nicht zumutbaren kurzen Zeitabständen.
Selbst wenn diese Nachteile nicht vorhanden sind und eine Höhle übersichtlich und trocken ist, kann die individuelle Lebensqualität eingeschränkt sein: der Kontakt mit Wasser ist ohne ausreichenden Schutz (z. B. beim Duschen oder Schwimmen) wegen der Gefahr von Schwindel nicht erlaubt. Er tritt besonders intensiv auf, wenn kaltes Wasser bzw. kalte Luft in die Höhle eindringt. Das Gleichgewichtsorgan (Bogengänge des Labyrinths) liegt ja nicht mehr hinter der schützenden und isolierenden Gehörgangswand. Daher sollten auch eine Spülung und vor allem das Absaugen einer Höhle durch den HNO-Arzt möglichst unterbleiben.
Außerdem ist eine regelmäßige Pflege mit Ohrtropfen („Ohrbad“) häufig unerlässlich (siehe „Tympanoplastik mit Cholesteatomentfernung“ im Artikel: „Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung“). Zur Behebung dieser Nachteile und Einschränkungen ist eine Operation möglich und nach vielen erfolgreich verlaufenden Fällen heute von uns zu empfehlen.
Die Obliteration einer Ohrradikalhöhle wird in ITN durchgeführt. Der Hautschnitt erfolgt abhängig vom Höhlenbefund endaural oder retro.
Bei diesem Eingriff werden im Prinzip die gesamte Hautauskleidung und evtl. entzündete Schleimhaut aus der Höhle ausgelöst, die knöchernen Wände geglättet und falls notwendig der Eingang des Gehörgangs erweitert.
Dabei können durchaus besondere Befunde den Operateur erwarten: die Hirnhaut, der Gesichtsnerv oder der große Blutableiter können frei liegen. Auch wenn dauerhafte Schädigungen der genannten Bereiche grundsätzlich möglich sind, so muss betont werden, dass bei uns ein solcher Fall noch nicht vorgekommen ist.
Für die Obliteration (Auffüllen oder Veröden der Höhle) bzw. für die Rekonstruktion einer neuen Gehörgangswand wird Knorpel aus der Mulde der Ohrmuschel oder auch vor dem Gehörgang zum Kiefergelenk hin entnommen. Die Entnahmestellen sind später in den meisten Fällen als nur wenig sichtbare Narben zu erkennen.
Der Knorpel wird mit einer speziellen Pinzette (siehe Abb. Knorpelpinzette im Artikel: „Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung“) dünn geschnitten und in passende Stücke geteilt. Dadurch kann eine genügende Menge an Knorpelstreifen unterschiedlicher Größe hergestellt werden, die dann als Gehörgangswand und/ oder als Füllmaterial in die Höhle eingepasst werden (Obliteration). Zusätzlich kann Bindegewebe als gestielter Lappen oder als freies Transplantat eingelegt werden.
Seit 2012 wird von uns zusätzlich regelmäßig ein bioaktives Glasgranulat (BonAlive®) (siehe dazu auch www.bonalive.com und www.bess.de) verwendet. Dieses Material hat antibakterielle Eigenschaften, was gerade bei entzündeten Höhlen von großem Vorteil für die Heilung ist. Darüber hinaus stimuliert es die knöcherne Höhlenwand körpereigenen Knochen zu bilden. Nach mehreren Jahren ist dann eine Höhle komplett mit neu gewachsenem Knochen verschlossen und ein weitgehend normaler Gehörgang vorhanden. Alle oben genannten Einschränkungen der Lebensqualität sind dann beseitigt.
Auf das Glasgranulat wird als Schutz zum Gehörgang hin der präparierte Knorpel, Bindegewebe und abschließend die zu Anfang abgelöste Hautauskleidung gelegt.
Am Ende der Operation wird ein sehr dünner Drainageschlauch, in das Glasgranulat eingelegt. Er leitet die nach der Operation individuell unterschiedlich stark auftretende Ansammlung von Blut- und Gewebeflüssigkeit aus der aufgefüllten Höhle in einen kleinen Auffangbehälter, in dem ein Unterdruck besteht. Es hat sich gezeigt, dass dadurch eine problemlosere Heilung mit kürzere Nachbehandlung erreicht werden kann.
In aller Regel kann dieser Drainageschlauch nach 1-2 Tagen schmerzfrei entfernt werden.
Mastoidhöhle mit Glasgranulat gefüllt
Minidrainage „Piccolo“ (Hersteller: MEDICOPLAST International GmbH, Illingen)
Je nach Mittelohrbefund und Art der Schwerhörigkeit kann bei der Obliterationsoperation der Versuch einer Hörverbesserung gemacht werden. (siehe „Operation: Tympanoplastik“ im Artikel: „Erkrankungen mit Entzündung und ihre operative Behandlung“)
Während der ersten 1 bis 3 Wochen kann es bei den relativ großen, unter der Haut und Ohrmuschel gelegenen Wundflächen zu Schwellungen bzw. zu einem Bluterguss kommen. Auch kann die Verfärbung in der Ohrmuschel oder hinter dem Ohr durch Bluterguss bei gleichzeitiger blutiger Absonderung aus dem Gehörgang beim Patienten Sorge hervorrufen. Diese Symptome sind jedoch normal, die Sorge ist in der Regel unbegründet. Die täglichen Visiten durch uns und die Ohrpflege durch die Schwestern/Pfleger gewährleisten, dass Unregelmäßigkeiten im Heilungsprozess rechtzeitig erkannt und im Bedarfsfall therapiert werden können.
Die tägliche Pflege mit Fettcreme oder Salbe nach der Entlassung ist bei dieser Operation besonders wichtig (siehe „Nach der Entlassung“ im Artikel: „Was muss beachtet werden, wenn der Arzt zu einer Ohroperation rät?“)
Nach 1 bis 2 Monaten sollten auch die letzten Krusten im Wundgebiet abgelöst sein, und die anfänglich taube Ohrmuschel hat ihr normales Empfinden wiedererlangt.
Über 90 % unserer Patienten können nach der Behandlung wieder ohne Schutz duschen, baden bzw. schwimmen gehen.
Regelmäßige HNO-Kontrollen, wenn möglich auch bei uns, sind in Abständen von 6 bis 12 Monaten über den Zeitraum von 5 Jahren dringend zu empfehlen. In wenigen Fällen ist bei allen guten Ergebnissen trotzdem eine Nachoperation erforderlich. Je eher ein Befund entdeckt wird, der eine erneute Operation notwendig macht, umso günstiger ist das für den Ablauf, die Dauer und den operativen Aufwand des Zweiteingriffs.
Autor
Dr. med. G. Schimanski wurde 1946 in Hameln a. d. Weser geboren und ist nach dem Studium der Human- und Zahnmedizin in Münster und der Assistentenzeit in Dortmund seit 1978 Facharzt für HNOHeilkunde. Nach 5-jähriger Oberarzttätigkeit und Spezialausbildung in der Mittelohrchirurgie im Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen gründete er 1983 eine HNO-Praxis in Lünen- Brambauer. Gleichzeitig begann die operative Tätigkeit als HNO-Belegarzt im Krankenhaus Lünen-Brambauer (heute: Klinikum Westfalen, Klinik am Park) und der Aufbau des Zentrums für Mittelohrchirurgie. Bis heute wurden weit über 13.000 Ohr-Operationen durchgeführt. 2005 wurde Dr. Schimanski der „Hofmann- und Heermann-Preis“ durch die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, verliehen. Er hat eine Vielzahl von Fachpublikationen veröffentlicht.
Leiterin der Mittelohrchirurgie
Dr. med. Esther Schimanski wurde 1974 in Münster/Westf. geboren. Sie studierte Humanmedizin in Greifswald und Kiel. Auslandssemester wurden in Knysna (Südafrika), in Malta und in Townsville (Australien) absolviert. Die Assistentenzeit erfolgte im Prosper Hospital Recklinghausen, in der HNO-Praxis Lünen- Brambauer (Zentrum für Mittelohrchirurgie) und im Städtischen Klinikum Solingen. Seit 2007 ist Frau Dr. Schimanski als Partnerin in der HNO-Gemeinschaftspraxis Lünen-Brambauer (Medizinisches Zentrum Klinikum Westfalen) mit Schwerpunkt in der Mittelohrchirurgie und seit 2014 als Leiterin auf diesem Spezialgebiet tätig.